- Wer gehen und sich gehen lassen kann, dem geht es gut -
WARUM Pilgern?
W e i l e s m i r d a b e i g u t g e h t ... einfacher kann ich nicht antworten auf diese Frage, die mir jeweils entgegenkommt, wenn die Leute erfahren, dass ich ein begeisterter Pilger bin. Im Jahre 2003 habe ich zum ersten Mal den Jakobsweg nach Santiago de Compostela zurückgelegt. Das Pilgern hatte mir gutgetan an Leib, Seele und Geist.
Erstens habe ich viel über mich, aber auch über Gott und die Welt erfahren, erlebt und gelernt. Vor allem die Freude am intensiven und offenen Kontakt mit Gleichgesinnten aus den verschiedensten Kulturen, Altersgruppen und sozialen Schichten ist in dieser Form einzigartig. Der Camino, wie der Jakobsweg auch genannt wird, ist ein konkreter Lebens- und Pilgerweg, auf dem die meisten Menschen ganzheitliche, existenzielle Erfahrungen machen und - was vielleicht das Entscheidende ist - Zeit haben über diese Erfahrungen nachzudenken und sie auf ganz verschiedenen Ebenen zu verarbeiten.
Zweitens ist gehen gesund. Das stimmt auch, wenn einmal ein paar Blasen oder ein Muskelkater auftreten. Das einfache Leben hat eine heilsame Wirkung. Gehen, mit allen Sinnen erleben, für Nahrung sorgen, eine Unterkunft finden, schlafen, die geschenkte Zeit auskosten, merken, mit wie wenig wir auskommen können - im Kontrast zu dem vom Konsum übersättigten Alltagsleben - und dann sich wieder etwas gönnen.
Drittens bringt der Weg unseren Geist in Bewegung: Wir sehen die Natur und erleben auf vielfältige Weise, was der Mensch damit gemacht hat und weiter macht. Wir sehen Gebäude, Kirchen, Kunstwerke, geschaffen von menschlicher Hand, und lesen Botschaften früherer Generationen aus dem behauenen Stein. Die spirituellen und geistigen Erfahrungen, das ruhig werden und zur Besinnung kommen hilft einem auch bei der Suche nach Gott sowie auf der Suche nach Sinn und Erfahrung.
Das Pilgern hat mir gutgetan. Diese Antwort zeugt scheinbar von einer rein individuellen Erfahrung. Sie steht auch am Anfang. Sie wird aber überholt von einem neuen Solidaritäts- gefühl. Identifikation mit allen, die in vergangenen Zeiten mit dem gleichen Ziel aufgebrochen waren. Solidarität mit allen, die heute mit der gleichen Sehnsucht im Herzen auf dem Weg sind. Verbundenheit mit allen, die morgen auf dem gleichen Weg unterwegs sein werden. Und all dies bleibt nicht auf den Pilgerweg beschränkt. Diese Erfahrungen trage ich zurück in den Alltag. Die Grenzerfahrungen in bezug auf meine körperliche Leistungsfähigkeit, meine geistige und seelische Belastbarkeit begleiten mich zurück in mein Leben und geben mir festen Boden unter den Füssen. Einen Boden, der stark genug ist, mich und meine Nächsten zu tragen.
- Geh, wohin dein Herz dich trägt -